"Wer Lyrik schreibt, muss sich bekennen"

Diese Erwartung erfüllt Klaus Schikore in seinen Gedichten / Nun hat er ein Buch daraus gemacht

 

Von unserem Mitarbeiter
Herbert Behrens
Osterholz-Scharmbeck. Wer Lyrik schreibt, muss sich bekennen, heißt es. Diese Erwartung erfüllt Klans Schikore in seinen Gedichten. Er beschreibt darin Stimmungen und Gefühle, die er empfindet, wenn er sich mit Stralsund, der Stadt seiner Kindheit und Jugend, und seiner Heimatstadt im Erwachsenenalter, Osterholz- Scharmbeck, beschäftigt. Das tut er schon seit vielen Jahren, jetzt hat Schikore einen Lyrikband daraus gemacht: "Zeit der Kormorane".
Stralsund, die Ostseeküste und Norddeutschland liefern dem Autor die Bilder, die Metaphern, die er braucht, um seine Suche nach dem wahren Zuhause symbolhaft darstellen zu können. Die innere Unruhe, die sich aus dieser Suche speist, wird spürbar. Bei der Ankunft sind die Gedanken bei der Abreise, und beim "Loswerfen der Leinen" er bereits der "fernen Heimkehr doch entgegenhofft", wie es in dem Gedicht "Hafen" heißt.
Doch nicht Melancholie ist prägend für die Gedichte. Seine Verse spiegeln wieder, dass Schikore notwendige Reisen unternimmt, und dass er sich dabei intensiv mit einer möglichen Rückkehr nach Stralsund auseinander gesetzt hat, "als ob du ziehen solltest/zu Ufern ohne Wiederkehr/für Augenblicke Hort/und Hoffnung fändest/ nach fernem Flug" (Zeit der Kormorane). Aber diesem Traum setzt er bewusst - und nicht notgedrungen - die Wirklichkeit entgegen, "... wo hoch im Sturm die Fluten an die Deiche branden/hat Glück und Arbeit doch mein Leben neu geboren."(West-östliche Sonette).
Auch wenn die Frage nach dem künftigen Lebensmittelpunkt entschieden ist, wird die Auseinandersetzung bleiben. "Mein Teil ist: Noch aus jenen Kellern zu berichten/aus Femen schon, wohl auch versöhnt, doch unbefragt -/Denn: Abschied bleibt mir zugeteilte Gegenwart", so heißt es in "Stralsund - In Memoriam".
"Weil ich die Sprache liebe", sagt Schikore, habe er die Lyrikform für seine autobiografischen Streifzüge gewählt,

und weil er sich mit "hingehauener Sprache" nicht abgeben will. Die Beachtung von Versfuß und Versmaß ist für den pensionierten Deutschlehrer unverzichtbar. "Da kommt der Schulmeister wieder durch", sagt er selbst. Gefühl und Gedanken brauchen in der Darstellung eine gebundene Form, in dieser Weise fühle er sich durchaus als ein "Bewahrer von Sprache".
So hat Schikore in seinem Lyrikband auch Sonette aufgenommen. In der strengen Form sind sie 14 Zeilen lang und haben jeweils zwei vierzeilige und zwei dreizeilige Strophen. Und auch auf die schwierigste Form hat der Autor nicht verzichtet und die "West-östlichen Sonette" als Sonettenkranz geschrieben. Das sind 15 Sonette, die inhaltlich zusammengehören und einem vorgegebenen Regelwerk folgen. Das ist zwar  eine ungewohnte Sprache, die aber auf eigentümliche Weise anziehend wirkt. Sie erzeugt starke Bilder, die das Denken und Fühlen des Autors deutlich werden lassen. Diese "West-östlichen Sonette" zu schreiben, habe mehr Zeit in Anspruch genommen, gibt Schikore zu.
Bei den anderen Gedichten war es eher der Blick, ein flüchtiger Eindruck oder die einprägsame Situation, die ihn inspirierte. Dieses Bild nimmt er auf, bringt es in die verdichtete Form der Sprache und lässt es beim Leser neu entstehen. Es sind deutliche und verständliche Bilder, deren Deutung jedoch vom Leser zu leisten ist.


"Die Arbeit mit der Sprache ist ein Kind des Knastes" , antwortet Schikore spontan auf die Frage, welche Motivation hinter dem Schreiben steht. Der Schüler Schikore wurde als 18-Jähriger von einem sowjetischen Militärtribunal verurteilt und war fünf Jahre lang in Bautzen inhaftiert. Zu viert in einer Ein-Mann-ZeIle untergebracht, gab sich Schikore selber Halt, indem er sich auf das Aufsagen von Schulgedichten zurückzog. Um die Erinnerung an die Verse festzuhalten, schrieb er sie mit einem Metallstück auf die Unterseite der Essensschüssel, die er zuvor mit einem Teil der seltenen Fettrationen präpariert hatte.
Er schrieb eine Strophe auf, lernte sie auswendig, löschte sie wieder aus - dann die nächste und die nächste. Näherten sich Schritte des Wachpersonals, rieb er die Schüssel über die Kleidung, der Text verschwand. Seither hat ihn das Schreiben nicht mehr losgelassen. Während seiner Berufstätigkeit als Lehrer am Gymnasium Osterholz-Scharmbeck habe er es allerdings vernachlässigen müssen. Doch nach der Pensionierung und stärker noch mit der Vereinigung Deutschlands 1990 bekam die literarische Auseinandersetzung mit seiner Biografie einen hohen Stellenwert. Schikore will die Situation festhalten, will seine persönlichen Erfahrungen nicht verloren gehen lassen, Darüber hat er bereits ein Buch geschrieben (Kennungen, 1993), ein zweites (Trennungen) wird in diesem Jahr erscheinen. Mit einem eigenen Gedichtband geht er das erste Mal an die Öffentlichkeit.


Der Lyrikband .Zeit der Kormorane" ist im Karin-Fischer-Verlag, Aachen, erschienen. Das Buch kostet 16 Mark und ist über den örtlichen Buchhandel zu bestellen oder direkt beim Autor zu erhalten.