Gedicht_StimmenAmStrand
STIMMEN AM STRAND
Und immer dieses Rauschen. -
Es rollt so unverwechselbar
das Meer an Uferstein und Strand.
Ich hocke, den Blick auf See gewandt,
und denke der Zeit, die früher war
und möchte lauschen, nur lauschen.
Hörst du ein Weinen?
Es klagt die Möwe im Uferwind. -
Mir ist, als riefe ihr Schrei
längst vergangene Tage herbei,
das Vaterhaus, wo ich spielte als Kind,
die Kreisel schlug, die kleinen.
Hörst du ein Lachen?
Es ruft am Strand aus Kindermund. -
Mir ist, als hörte ich da
die Rufe des Bruders greifbar nah,
sie laden mich ein zum Spielen am Sund
mit Dreirad und mit Drachen.
Hörst du ein Wehen?
Es streicht der Wind das Dünengras. -
Mir ist, als trüge sein Hauch
mich unerkannt ins Zimmer auch,
wo Großmutter in der Bibel las
kurz vor dem Schlafengehen.
Hörst du ein Singen?
Es zieht über See ein Schwanenflug. -
Mir ist, als zöge mich fort
von Mutter, Haus und Kinderort
unwiederbringlich ihr weißer Zug
auf heimatlosen Schwingen.
Ich wollte noch lauschen.
Es kühlt im Wellenschlag das Meer
den Sand, auf dem ich sinnend saß:
Verstummt die Möwe, verstummt das Gras,
kein Kinderlachen, kein Schwanenflug mehr -
nur Rauschen, endloses Rauschen ...
August 1986