Vom Studiendirektor zum Schriftsteller

Das erste Buch von Klaus Schikore ist auf dem Markt

Kreis Osterholz (loe). Drei Jahrzehnte hat Klaus Schikore an dieser Schule gelehrt, war nicht nur darum bemüht, sein Wissen weiterzugeben, sondern seinen Schülern "den Zugang zu geistiger Unabhängigkeit und sozialer Verantwortung zu öffnen". Nach seiner Pensionierung wechselte der ehemalige Studiendirektor in ein anderes Metier: Er wurde Schriftsteller. Doch es blieb sein Anliegen, über seine Arbeit die Verbindung zur Jugend aufrechtzuerhalten. Im Literaturcafe des Gymnasiums las er aus veröffentlichten und unveröffentlichten Werken.

In seiner bereits erschienenen autobiographisch-dokumentarischen Prosa "Landmarken einer Wandlung", aus der er den Schlussteil brachte, erzählt Klaus Schikore einen Teil seiner Lebensgeschichte: Vor dem Hintergrund der Wende von 1989 geht er, verwoben mit einem Segeltörn in seine vorpommersche Heimat, das Thema Vergangenheitsbewältigung an. "Wir werden erst wissen, wer wir sind, wenn wir uns fragen, wer wir waren."

Er vollzieht sie über eine "kritische und unerschrockene Rückblende" in die eigene Geschichte. Er ist seinem "Leben in der braunen und roten Diktatur nachgefahren": Großgeworden in der einen, in der anderen, nach vollzogener innerer Wandlung, bemüht um demokratische Neuorientierung, doch abgestoßen von der Unmenschlichkeit des sozialistischen Systems. Fragen nach Verantwortung und Schuld drängen nach Antworten. Und nach Versöhnung.

Fragen aber auch, die die Folgen einer vierzigjährigen auch innerlichen Trennung aufwerfen, die sich ihm auf seinen Lesereisen durch die alte Heimat immer wieder auftun: "Ich nehme jeden Monat wahr. wie die Grenzen, die aufgerissen waren, immer noch vorhanden sind."

Sein neues, noch nicht endgültig fertiggestelltes Buch "Trennungen - Auf der Suche nach Versöhnung", das im Osten erscheinen soll, nimmt gerade im "Vorwort an die Söhne" diese oft schmerzliche Thematik der Grenze für beide Seiten auf und lässt eher den Historiker denn den Lyriker Schikore zu Wort kommen.

"Lernen aus der Geschichte verlangt von uns eine Auseinandersetzung mit unserem Tun", sagt der "Grenzgänger" Schikore, für den Geschichte erst durch die vielen Einzelgeschichten und durch die Menschen, von denen sie handeln, lebt. Seine gelebten Trennungen und Suche nach Versöhnung sollen "Denksteine zu späterem Hinterfragen markieren".

In "Speziallager Nr. 4 - das Gelbe Elend", ein zweites Kapitel, das er an diesem Abend vorstellte, lässt er eine dieser Trennungen in ihrer ganzen Ungewissheit und Unberechenbarkeit spürbar werden. Fünf Jahre ist er, der damals zum Tode Verurteilte, in Bautzen gewesen - 1948 als Oberschüler verhaftet wegen seiner Protestflugblätter gegen die Übergriffe der SED und der Besatzungsmacht. Er beschreibt den Transport in Viehwaggons, Wachträume, Hoffnungen, das Gefühl der Ausweglosigkeit hinter Zuchthausmauern und bettet sie immer wieder ein in die politische Entwicklung.

Damals, den Gestank des Kübels unter der Pritsche, hat er angefangen zu schreiben auf dem dunklen Boden eines emaillierten Fressnapfes mit einem Stück Aludraht. Dem ersten heimlichen Satz folgten viele weitere. Gedichte entstanden, die er auswendig lernte, wegwischte und erst später niederschrieb, in Briefe einbaute, in einem ausgehöhlten Krückstock hinausschmuggeln ließ. Worte, teilweise in Einzelhaft zu Lyrik geformt, die sein Denken und Fühlen greifbar machen, die wehe Sehnsucht nach der fernen Heimat, schlaflose Nächte und konturlos zerfließende Zeit, Leid, das stumpf macht und nur noch unter den Nägeln brennt, manchmal von leiser Melancholie, doch niemals resigniert. "Ich habe", sagt Klaus Schikore, "mich in meiner Unfreiheit von meinen Einsamkeiten freigeschrieben."

Seine Heimat ist ihm, der 1954 in den Westen floh, immer unvergessen geblieben. Heimat, das ist für ihn kein Wort wie jedes andere. Viele Gedichtzeilen auch an diesem Abend waren von seiner Liebe und lange verwehrten Rückkehr zu den Stätten seiner Kindheit und Jugend durchdrungen: Stralsund, Hiddensee, Rügen, das Wasser, auf dem er großgeworden war. Orte, die für ihn Heimat und Freiheit untrennbar miteinander verbanden - begleitet vom Flug der Kormorane.

Sein erstes Buch ist bereits auf dem Markt, sein zweites wird in wenigen Monaten folgen. Klaus Schikore ist von seiner einstigen Profession als Studiendirektor erfolgreich in die Schriftstellerei gewechselt. (loe) -

foto: Artita Suchodolski

Osterholzer Kreisblatt, 23.7.1994